Klettersteig Fürenwand, Samstag 3. Juli 2021
Tourenleitung: Beat Hoitinga
Teilnehmer: Isabelle Schleiss (Klettersteig), Evelyne Godel (Wanderweg)
Der etwas andere Bericht von Isabelle nach einer eindrücklichen Grenzerfahrung im Klettersteig Fürenwand (K4).
Meine Karriere im Klettersteig hat erst vor 3 Jahre begonnen. Angefangen mit dem Brunnistöckli (K2) in Engelberg, gefolgt vom Pinut (K1/2) in Flims und der Via Ferrata ‘Tre Signori’ (K3) im Tessin (aufgrund der Schwierigkeit nur bis zur Hälfte – Ausstieg)
Samstag 3. Juli um 05:00 Uhr klingelt der Wecker. Heute ist der Tag der Fürenwand in Engelberg. Ein Klettersteig der Kategorie K4 schwierig. Beat holt uns um 06:20 Uhr ab, damit wir gemeinsam nach Engelberg bis zur Talstation der Fürenalp Bahn fahren können. Dort angekommen, marschieren wir auch gleich los. Bei der Abzweigung zum Klettersteig verabschieden wir uns von Evelyne, die den Wanderweg via Stäuber nimmt um auf die Fürenalp zu kommen.
Nach ca. 15 Minuten erreichen Beat und ich den Einstieg, wo wir unsere Klettersteigsets anziehen. Meine Gefühle sind sehr gemischt – Aufregung, Freude, eine gehörige Portion Respekt und vielleicht etwas Angst vor dieser mächtigen Wand.
Los geht es mit einer senkrechten Leiter, dann kommen «T» Hacken aus der Wand und weiter geht es senkrecht hinauf – was für ein Start! Mein Motto ist „eifach need abe luege“. Ich weiss, dass es auf diesem Klettersteig sehr viel Tiefblick gibt. Da ich aber noch nicht so geübt bin, denke ich mir „bem nöchschte mol chasch de luege „. Heute will ich „Schritt für Schritt“ einfach hinter Beat nach und nicht nach unten schauen. Ein Test an mein Nervenkostüm, meine Konzentration und mein Durchhaltevermögen. Der Respekt ist gross, vor dieser, für mich schwierigen Aufgabe.
Nach ungefähr einem Viertel der Kletterpartie, bekomme ich in der linken Hand beim Mittelfinger einen Krampf und versuche den Finger mit Stretch Übungen zu lockern.
Aber weiter geht es immer fast senkrecht hoch hoch hoch….. mal über Eisentreppen, auf Eisenstiften oder Eisenhacken… dann kommt die erste Querpassage wo der Tiefblick extrem ist. Konzentration, „einfach“ die Eisenhacken, die zur Wand raus kommen, fokusieren. Alles andere nehme ich nur noch verschwommen wahr. Die Querung ist zu Ende, da kommt die nächste senkrechte Leiter, wo man sich noch in die Luft raushängen muss, um den Einstieg zu schaffen. Phuuuaaa… einfach rauf rauf rauf! Sch….., ein Krampf an der ganzen Hand, die Finger ziehen sich zusammen, fast zu einer Faust. Ich denke, ist noch praktisch, so kann ich die Finger bei den Eisentreppen nur noch einhängen. Nein, so geht es natürlich nicht, denn es schmerzt sehr. Die Finger strecken und dehnen und weiter gehen einfach immer weiter.
Wir sind noch nicht einmal beim Bänkli, welches kurz nach der Mitte des Klettersteigs in den Felsen gebaut ist und ich muss jetzt schon kämpfen, mich noch mehr konzentrieren und Kräfte freisetzen. Nach ungefähr 2 Std. erreichen wir das gelobte Bänkli. Hier machen wir eine Pause, können normal sitzen und entspannen, essen einen Kraftriegel, Biberli und trinken etwas um neue Energie zu tanken. Eine kurze intensive Meditation und ein kleines Stossgebet zu Himmel hilft sicher auch bevor es weiter geht. Ja sogar einen scheuen kurzen Blick nach unten wage ich!
Es kommt ein etwas entspannterer Abschnitt durch Büsche und Sträucher, bevor es wieder eine mit Eisenhacken gespickte und zum Teil glatte, nasse Felswand hoch geht.
Wieder eine Traverse in der senkrechten Felswand mit Tiefblick vom Feinsten (wenn man schauen würde!) und wieder rauf, rauf, rauf… Jetzt bekomme ich den Krampf im linken Bein und versuche, diesen mit trinken aus meinem Wassersack zu lindern. Es tut weh, aber was ist schlimmer? Ein Krampf in Beinen und Armen oder der Verlust von Kraft und Energie? Stehen bleiben und versuchen den Krampf zu lösen funktioniert nicht auf diesen Eisenhacken, wo man zum Teil gar nicht richtig stehen kann. Also, trotz Krampf weiter hinauf klettern, immer schön Beat nach (ein anderer Weg gibt es nicht). Es kommen Leute von hinten (übrigens nicht die Ersten) und wir versuchen so gut es geht auf die Seite zu stehen, damit die an uns vorbei kommen. Ich versuche einem erneuten Krampf im Oberschenkel, welcher sich langsam zu den Füssen zieht, zu lösen. Beat versucht mir mit einer Massage zu helfen. Wo ist das Magnesium? Keines dabei, also muss es auch ohne gehen. Trinken, trinken und versuchen zu dehnen. Wir müssen weiter zur eigentlichen Schlüsselstelle, einer „wakligen“ Hängeleiter, mit unzähligen Sprossen. Beat geht zügig die Leiter hinauf, denn je länger man darin hängt, desto mehr Kraft braucht es. Oben angekommen, ruft er mir aufmunternde Worte und Lob hinunter, denn ich bin so ziemlich „am Anschlag“. Die Kräfte in den Fingern sind am Ende, so hacke ich mit einem Arm von oben und mit dem anderen von unten in die Leitersprossen ein und versuche, mich so hoch zu ziehen. Diese brachiale Technik ergibt übrigens zwei „knutsch blaue“ Oberarme! Ich mobilisiere meine letzten Kräfte, ungewohnte Laute (grunzen, stöhnen, ächzen) entfliehen meinem Mund… meine Arme und Finger sind wie Pudding – wie krass ist das denn! Unten an der Leiter gibt es einen kleinen Stau. Zum Glück stresst mich das grad nicht, aber an dieser Stelle, „Danke“ an alle Leute hinter mir, die so geduldig gewartet haben.
Nach einer gefühlten Ewigkeit komme ich oben bei Beat völlig entkräftet an. Ich brauche einige Minuten, um mich für die letzte steile Schlusswand zu sammeln. Natürlich weiss ich, es gibt nur ein Weg und der führt nach oben.
Plötzlich erblicke ich Evelyne, die mit dem Handy in der Hand bei Ausstieg des Klettersteigs steht und ein paar Föteli macht. Mir wird sofort klar – es ist geschafft!
Nach vier Stunden harter Arbeit, viel Konzentration, einigen Zitterpartien, totaler Überwindung und Selbstdisziplin bin ich mit Beat und Evelyne auf der Fürenalp angekommen.
Es war eine Grenzerfahrung , die mich mental stärker gemacht hat, mir aber auch klar meine Grenzen aufgezeigt hat.
Danke Beat für deine Unterstützung und Geduld.
Bericht: Isabelle Schleiss
Fotos: Evelyne Godel